Die leitende Psychologin Frau Dr. rer. nat. Pauls unser Beratungsstelle vertritt einen sogenannten systemischen Ansatz. In den folgenden Abschnitten soll erklärt werden, was sich hinter diesem Ansatz verbirgt. Die Systemische Beratung leitet sich aus der Systemischen Therapie ab, die ein psychotherapeutisches Verfahren mit Fokus auf dem sozialen Kontext psychischer Störungen ist. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) hat im Dezember 2008 die Systemische Therapie als wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren eingestuft.
Die theoretischen Grundlagen heutiger Systemischer Therapie und Beratung sind Kommunikationstheorie, Kybernetik, Systemtheorie und (sozialer) Konstruktivismus.
Leider werden unter dem Begriff „systemisch“ mittlerweile auch eine Reihe esoterisch anmutender Methoden angeboten, die aber nichts mehr mit den ursprünglichen theoretischen Ansätzen zu tun haben.
Kybernetik erster Ordnung
Ursprünglich handelt es sich hier um die Steuerungslehre technischer Systeme. In der frühen systemischen Theorie sozialer Systeme wurde der Begriff der Homöostase, also das Systemgleichgewicht stark in den Vordergrund gestellt. Dabei ging man davon aus, dass es in einem Familiensystem so etwas wie einen idealen Gleichgewichtszustand gibt. Ist in der Familie der Gleichgewichtszustand bedroht, haben das Symptom oder der Symptomträger die Funktion, den Status quo zu stabilisieren. So könnte z.B. die Hyperaktivität eines Kindes dazu dienen, die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zu ziehen, so dass bestehende Eheprobleme durch die gemeinsame Sorge um das Kind stärker in den Hintergrund rücken. Das Symptom „Hyperaktivität“ hätte somit die Funktion die Ehe der Eltern zu kitten. Die therapeutischen Interventionen sind dementsprechend darauf ausgerichtet, das Familiensystem zu beeinflussen und zu verändern. So würde ein Therapeut beispielsweise mithilfe geeigneter Interventionen an den Eheproblemen arbeiten, so dass das hyperaktive Verhalten des Kindes seine Funktionalität verliert.
Kybernetik zweiter Ordnung
Durch den Konstruktionismus (s.u.) und die Erkenntnis der Selbststeuerung und Selbstorganisation bzw. Autopoiese lebender Organismen/Systeme (s.u.) wurde die Autonomie von Lebewesen stärker in den Mittelpunkt der systemischen Therapie und Beratung gerückt. Danach hat jeder Mensch eine eigene Struktur und Wahrnehmung, die durch Erfahrungen entsteht. Dies gilt folglich auch für den Berater oder Therapeuten und seine Meinung bzw. Haltung. Er selbst ist mit seiner persönlichen autonomen Struktur Teil des Systems und kann somit nicht wirklich „von außen“ intervenieren. Mit dieser Erkenntnis hatte man sich von den normativen Handlungsanweisungen eines „allwissenden“ Therapeuten, der der Experte für die Probleme seiner Kunden ist, verabschiedet und ihn fortan als Teil des Systems gesehen.
Dissipative Strukturen und Synergetik
Eine dissipative Struktur bezeichnet das Phänomen sich selbst organisierender, dynamischer, geordneter Strukturen in nicht linearen Systemen. Als dissipative Strukturen wird folgende Dynamik komplexer chemischer Systeme beschrieben: Entfernen sich Systemzustände weit vom Gleichgewicht und überschreiten sie dabei einen kritischen Wert, bilden sie eine neue, nicht vorhersagbare Ordnung aus und können nicht in den früheren Zustand zurückkehren. Durch äußere Einwirkung ist es möglich, ein System zu destabilisieren (systemsich ausgedrückt „zu verstören“), die Neuordnung des Systemgleichgewichts bleibt aber nicht vorhersagbar. Anregung ist möglich, gerichtete Beeinflussung nicht.
Die Synergetik ist die Lehre vom Zusammenwirken von Elementen gleich welcher Art, die innerhalb eines komplexen dynamischen Systems miteinander in Wechselwirkung treten (bspw. Moleküle, Zellen oder Menschen). Die spontane Bildung synergetischer Strukturen wird als Sebstorganisation bezeichnet. Am Beispiel des Laserlichtes konnte gezeigt werden, wie durch Energiezufuhr fluktuierende Atome selbstorganisiert geordnete Muster bilden.
Das Konzept der Autopoiese
Die Biologen Maturana und Varela entwickelten in Bezug auf biologische Systeme das Konzept der Autopoiese. Autopoietische Systeme sind strukturell determiniert, d. h. sie können sich nur innerhalb gewisser Grenzen verändern. Sie haben keinen anderen Zweck als ihre eigene Struktur aufrecht zu erhalten, und sie sind operationell geschlossen, d.h. sie können innerhalb ihrer strukturellen Determiniertheit Umweltinformationen aufnehmen, sind aber nicht durch diese beeinflussbar (instruierbar). So können zwar neue Eigenzustände angestoßen werden (durch Verstörung, Perturbation), diese Eigenzustände sind aber durch die strukturelle Determiniertheit des autopoietischen Systems bestimmt. Das Konzept betont also die Autonomie lebender Systeme.
(Sozialer) Konstruktivismus
Es wird davon ausgegangen, dass sich jedes Individuum seine Wirklichkeit selbst konstruiert. Folglich gibt es auch keine allgemein gültige Wahrheit. Individuelle Wahrnehmungen und Zuschreibungen sind gleichermaßen gültig. Es gibt kein richtig und kein falsch.
Der soziale Konstruktivismus hat seinen Schwerpunkt im intersubjektiven bzw. zwischenmenschlichen Bereich. Die Frage ist hier, wie Menschen gemeinsam im Diskurs durch Kommunikation Wahrnehmung erschaffen. Im gemeinsamen Austausch wird Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konstruiert bzw. geschaffen. Die Art der Kommunikation bestimmt die Form der Wahrnehmung mit. Das Handeln eines Menschen hat viel mit der jeweiligen Gesellschaft bzw. Kultur zu tun, in der er lebt. In diesem Rahmen wird „Realität“ konstruiert.
Grundprämissen in der systemischen Arbeit und die systemische Grundhaltung
Probleme als Lösungen: In zentraler Weise geht es in der Therapie oder Beratung darum, den Kunden und vor allem sein "Problemverhalten" (die gezeigten Symptome) im Kontext seiner aktuellen und früheren Beziehungen und seiner Umgebung zu verstehen. Probleme oder Symptome sind daher als Ausdruck von Kommunikation und Interaktion mit "relevanten Umwelten" (z.B. der Herkunftsfamilie) zu sehen und beinhalten (z.B. bezogen auf die Herkunftsfamilie) Überlebens- bzw. Problemlösestrategien, die sich jedoch in anderen oder späteren sozialen Kontexten als dysfunktional erweisen können.
Respekt vor der Autonomie des Einzelnen: Der Kunde und nicht der Therapeut oder Berater ist Experte für seine Lösungen (Selbstorganisation). Der Therapeut bzw. Berater hat die Aufgabe, den Kunden bzw. das System zu „verstören“ bzw. dazu anzuregen, passende Lösungen zu entwickeln.
Einzelfallorientierung: Es wird immer nur der Einzelfall gesehen. Es gibt keine Diagnosen, keine Etikettierung oder Festschreibungen.
Ressourcenaktivierung und Lösungsorientierung: Die Frage nach Ressourcen des Kunden eröffnet den Blick auf alternative Verhaltensweisen und richtet den Fokus weg vom Problem auf für den Kunden passende Lösungen.
Neutralität: Es ist Aufgabe des Therapeuten oder Beraters, die Bindungen und kommunikativen Bezüge zur Familie, Freunden, Nachbarn oder Kollegen (soziale Systeme) des Klienten sichtbar zu machen, sich aber den betreffenden Personen gegenüber neutral zu verhalten. Die Berücksichtigung der Tatsache, dass der Therapeut oder Berater Teil des Systems wird, indem er es im Sinne des Konstruktivismus entwirft, relativiert Bewertungen wie richtig oder falsch bzw. gut oder schlecht. Als alternatives Kriterium bietet sich an, danach zu fragen, wie angemessen und sinnvoll, wie ethisch vertretbar eine Sicht der Wirklichkeit und ein Handeln aus der Sicht der Person oder des Systems ist.
Spezielle Fragetechniken: Verwendet werden in der systemische Gesprächsführung "zirkuläre" Fragen (Einführung einer Außenperspektive: Was würde mir Ihre Frau erzählen, was sich bei Ihnen verändert hat?) sowie weitere Frage- und Interventionstechniken, die dazu dienen, das Problem und die Sicht darauf zu klären und diese zu "verstören", so dass neue Sichtweisen entstehen und neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden.
Sparsamkeit: Im Gegensatz zu vielen anderen Therapien können die Sitzungen in unregelmäßigen und oft größeren Abständen stattfinden. Dies richtet sich nach dem Bedarf der Klienten.
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